The Kallisto Story:  Abenteuer Einzelbau


Vor vielen Jahrzehnten, bei einem Urlaub in Imperia, sah ich zum ersten Mal eine Segelyacht, deren Ästhetik mir einen Schock versetzte. Es war ein etwa 24 Meter lange Wally, die da am Kai lag und nicht nur von mir be-wundert wurde. Lang gestreckte Linien, Carbon Rumpf und Mast, ein per-fektes Teak Deck, und eine große ‚Terrace on the Sea‘. Der Skipper hat mir verraten, dass die Segelfläche über 440 m² Downwind beträgt. Mein damaliges Segelschiff hatte gerade mal 70m². Die Kajüten durfte ich leider nicht besichtigen. All das hat sich unauslöschlich in meinem Gedächtnis festge-setzt und einen Wunsch geweckt.  Seit der ersten Begegnung mit der Wally hatte ich den Traum, eines Tages ein Schiff mit solch wundervollen Linien zu bauen. Natürlich viel kleiner, passend zum Einkommen eines Professors.

Bis zur Verwirklichung der Idee sollten viele Jahre ins Land gehen. Nach-dem die Segelleidenschaft, als Gegengewicht zu meinem Beruf, zu einem Teil meines Lebens geworden war, habe ich Erfahrungen mit stets größer werdenden Segelyachten gesammelt. Es begann mit einem 30 Fuß , 9 Meter langem Dickschiff‘, dann folgte ein schöner und schneller ¾ Tonner von Elv stroem/Kjaerulf , danach eine 12m Yacht von Hakan Soedergren.  Anfang der 90er Jahre war ich bei 13,50 m. angekommen.  Während alle meine früheren Yachten einen besonderen Charakter besaßen, war dieses Schiff ein echter Großserien-Plastik-Bomber.

Das Rollgroß war praktisch, aber leistungsschwach. Auf allen Kursen stand es, ebenso wie die weit überlappende Genua, mehr oder weniger schlecht. Das Teakdeck war qualitativ minderwertig, unter Deck befand sich der üb-liche Mahagonilook. Die gesamte Ästhetik des Schiffes war ‚plastic fantastic’. Mir wurde schnell klar: so wollte ich nicht mehr segeln, die Massenware schlug mir aufs Gemüt. 
Nach dieser Erfahrung lebte der alte Traum umso stärker wieder auf. In der Midlifecrisis angekommen wollte ich nicht länger warten, eine Yacht nach meinen Vorstellungen zu verwirklichen. Beim ersten Treffen mit Doug Schickler, einem damals jungen amerikanischen Yacht Designer, der sich Amsterdam niedergelassen hat, habe ich über meine Vorstellungen ge-sprochen, 15-16 Meter sollte das Boot lang und ca. 4,40m breit sein, der Tiefgang sollte 2,30 m nicht überschreiten. Ein paar Tage nach dem Treffen kamen Vorentwürfe, die in einem gemeinsamen Diskussionsprozess konkretisiert wurden. Es war schön zu erleben, wie die Konzeption Dougs mit den eigenen Ideen allmählich zu einem gelungenen Entwurf zusammen-wuchsen. Auch die Diskussionen über die Bauweise führten schnell zu einem Ergebnis: die Yacht sollte aus Epoxy Glasfaser mit foam core im Vakuum Verfahren als One Off gebaut werden.

Sehr viel schwieriger gestaltete sich die Suche nach einer Werft. Angebote aus Holland und Deutschland bewegten sich in für mich astronomischen Dimensionen, also besuchte ich, in Begleitung einer bezaubernden polni-schen Dolmetscherin vier Werften in Danzig und Stettin. Ernüchtert kam ich zurück: die Stettiner Werft war ein riesiger, verlassener Fabrikbau mit eingeschlagenen Scheiben. Arbeiter hockten unmotiviert und zumeist alkoholisiert herum. Mir war sofort klar, dass diese Truppe mein Boot nicht bauen würde. In Danzig machten zwei Werften einen besseren Eindruck. Beim einer ungefähren Schätzung der Baukosten von einer der beiden Werften, traute ich meinen Augen nicht, als ich das Angebot erhielt: Die Preise lagen 15% über denen in Holland.  Eine zweite Werft machte zwar ein akzeptables Angebot, allerdings war die Atmosphäre bei den Verhandlungen depressiv und wenig inspirierend.

Der dritte Yachtbauer sollte es dann sein. Die Werft von Mr. R. war OK, die Qualität der Schiffe schien mir gut und der Abschluss eines Vorvertrags bei Gänsebraten und Vodka war beschlossene Sache. Am Morgen der Unter-zeichnung wurde ich zufällig Zeuge eines Gesprächs beim Frühstück im Hotel. Zwei Deutsche unterhielten sich erregt über die Werft von Mr. R. und beklagten, dass immer neue Zahlungsaufforderungen kämen. Insgesamt läge der Preis für das Schiff bereits 30% über dem vertraglich vereinbarten Angebot, obwohl nur minimale Veränderungen am Lieferumfang vorgenommen worden seien. Da ich mich nicht erpressen lassen wollte, ließ ich den Vertragsabschluss platzen.

Nach diesen nicht gerade inspirierenden Erfahrungen entdeckte ich in ei-nem englischen Yachtmagazin zufällig einen Bericht über eine türkische Werft, die gerade eine 24 m Maxi Segelyacht baute und zwar genau mit der Technologie, für die ich mich entschieden hatte. Ich nahm sofort Kontakt auf und flog wenige Tage später nach Antalya. Orhan Gellikol, der Inhaber von Sencora, holte mich am Flughafen ab und wir sprachen bereits auf der Fahrt zur Werft mit ziemlichem Enthusiasmus über seine und meine Pläne. Bevor Orhan den Yachtbau zum Beruf machte, war er angeblich Schönheitschirug, wobei ich nicht weiß, ob das im orientalischen Märchengespinst mehr der Dichtung oder der Wahrheit zuzurechnen ist. Er versicherte mir, dass er die beste Adresse in der Türkei für Motor und Segelyachten sei. Der schiere Größenwahn dieser Bemerkung hätte mich warnen müssen, aber er war natürlich viel anregender, als die triste Stimmung bei den polnischen Werften.

In der Werft angekommen, lernte ich Susi, die Lebensgefährtin Orhans kennen, sie ist Deutsche, aber, wie später deutlich werden wird, in Bezug auf die Wahrheit mindestens ebenso orientalisch, wie ihre türkischen Mitspieler. Mein erster Eindruck von der Werft war gut. Die Vertragsverhandlungen verliefen zügig, der Preis war akzeptabel, die Lieferzeit sollte 12 Monate betragen und so überwies ich wenige Tage nach dem Handschlag das erste Drittel des Kaufpreises. Zunächst schien alles gut: Die Form wurde gebaut und allmählich entstand der Rumpf. Von Zeit zu Zeit flog ich nach Antalya, um die Fortschritte des Yachtbaus zu begutachten. Wenn ich kam wurde mir mit viel Aufwand emsige Betriebsamkeit suggeriert, allerdings sah ich kaum Fortschritte.

Misstrauen keimte allerdings erst auf, als ich von einem Bekannten, dem damaligen Bavariaimporteur in Palma de Mallorca erfuhr, dass er vom holländischen Lewmar Repräsentanten gehört hätte, die Firma sei bankrott. Er war es übrigens auch, der mich vor Beginn des Projekts eindringlich vor dem Abenteuer Einzelbau gewarnt hat. Ich lernte: Die Yachtszene in Europa ist klein und geschwätzig. Ich war beunruhigt, während meine Exgattin mich triumphierend mit Vorhaltungen überschüttet, nach dem Motto: Ich habe dir immer gesagt… Ich fand: Das war wenig hilfreich.

Als ich Susi bei meinem nächsten Besuch mit meinen Erkenntnissen konfrontierte, spielte sie den Firmencrash herunter. Ich solle mich nicht beunruhigen, der Bau meiner Yacht ginge unverzüglich weiter. Der Liefertermin wurde korrigiert, von 18 Monaten war jetzt die Rede. Beim nächsten Besuch, acht Wochen später, war nichts geschehen, immerhin hat Orhan dieses Mal eingestanden, dass die Firma neues Kapital braucht.  Mit der bekannten Megalomanie fügte er aber sogleich hinzu, dass es einen Investor aus Amerika gäbe und dass man eine der größten europäischen Yachtwerften in Antalya hochziehen werde. Tatsächlich hatte Orhan einen Inverstor und vier Aufträge für Motoryachten zwischen 25 und 50 Metern  hereingeholt. Sein Größenwahn überzeugte offensichtlich auch andere, so etwa David Coulthard, den ehemaligen Formel 1 Rennfahrer, einen arabischen Minister, einen deutschen Bauunternehmer, sowie einen angeblichen Multimillionär aus den USA.

Glücklicherweise gab es auch einen tatkräftigen Werftmanager, Don Dennison, Kanadier und wahrscheinlich die einzige, halbwegs vertrauenswürdige Gestalt im Management. Er baute die Werft zu einer Produktionsstätte mit über 100 Arbeitern und einigen modernen Maschinen aus. Allerdings musste er sich den häufig irrationalen Direktiven der Werftbesitzer und der Hauptverwaltung in Istanbul unterwerfen. Vor allem was das Finanzgebaren anging: Die Millionen für die großen Motoryachten versickerten im Zeitraffer Tempo, die Teilzahlungen für mein kleines Boot ebenfalls. Wieder ruhten die Arbeiten an meinem Schiff. Der Traum wurde zum Albtraum. Ich war wütend und verzweifelt zugleich. Ich fürchtete, mein Projekt abschrei-ben zu müssen

In dieser Situation wurde mir geraten, einen Anwalt einzuschalten. Als Psychoanalytiker und angesichts orientalischer Verhältnisse war mir sofort klar, dass das das Ende meines Traums und den Totalverlust des investierten Kapitals bedeuten würde. Das letzte Drittel des Budgets wäre für Anwälte und Gerichtskosten drauf gegangen und das Schiff wäre nie fertig geworden. David Coulthard hat diesen Weg beschritten, er hat nie ein Boot von Sencora bekommen. Der unfertige Rumpf seines Bootes wurde irgendwann für ein paar Dollar, die die Gerichtskosten bei weitem nicht deckten, weiterverkauft.

Don riet mir, den Werfteignern einen „strong letter“ zu schreiben und einen Termin in Istanbul zu vereinbaren. Für die Verhandlungen wählte ich eine Strategie, die von juristischen Händeln absah, stattdessen schlug ich vor, alle noch fehlenden Materialien selber zu kaufen und zu liefern. Die Einbauten gingen zu Lasten der Werft.
Als ich mich ans Werk machte, meinen neuen Job als Einkäufer von Yacht-material zu erlernen, waren die projektierten zwei Jahre Bauzeit bereits überschritten. Erstaunlicherweise machte mir die Tätigkeit Spaß und es entwickelten sich unkomplizierte Geschäftbeziehungen zu Lieferanten in Europa und den USA. Allerdings gab es eine Komplikation die mir eine Woche lang schlaflose Nächte bescherte. Ein Sammeltransport mit Ausrüstung für 50 000 € war spurlos verschwunden. Später stellte sich heraus, dass der Spediteur die Lieferung irgendwo in Istanbul falsch abgesetzt hatte. Nach über einer Woche konnte sie aufgefunden und an den richtigen Ort verbracht werden. Ansonsten funktionierte alles on time.
Ich flog von Zeit zu Zeit über das Wochenende zur Werft, um den Bau zu beaufsichtigen, wohnte immer im selben Hotel, das sich allmählich zu ei-nem Treffpunkt der Sencora Geschädigten entwickelte. Nicht nur mir erging es schlecht mit meinem Yachtbau, auch die Beauftragten der Megayachteigner klagten über extreme Verzögerungen und Baustillstand trotz millionenschwerer Zahlungen. Klatsch und Spekulationen, wo das Geld für die Schiffe hinflösse, würzten –neben kleinen Flirts- die abendlichen Unterhaltungen.
Ein neuer Schock, der mein Projekt wieder in Frage stellte, ließ nicht lange auf sich warten. Don Dennison informierte mich, dass die Werft erneut zahlungsunfähig sei und in der Nähe von Istanbul, neu starten würde.  Dort wurde mein Schiff nach 36 statt 12 Monaten Bauzeit fertiggestellt. Der Albtraum vorbei. Das Schiff wurde auf den Namen Kallisto VII getauft und zu Tests zu Wasser gelassen. Ein wundervoller Augenblick, mein Boot, das mich so viele Nerven gekostet hat, in seinem Element zu erleben. Natürlich ist sie keine Wally, dazu ist sie viel zu klein. Gleichwohl macht die Kallisto ihrem Namen alle Ehre.

Kallisto, die jungfräuliche Nymphe aus dem Gefolge der olympischen Göttin Artemis, war Inbegriff der Schönheit, und wurde von Zeus, in Gestalt eines Bären, verführt, obwohl sie der Göttin Keuschheit geschworen hatte. Das rief den Unwillen nicht nur von Artemis, sondern auch von Hera, der stets eifersüchtigen Gattin des Zeus hervor, sodass letzterer Kallisto vor ihr retten musste, indem er sie an den nächtlichen Himmel in das Sternbild des „Großen Bären“ versetzte.

Aber zurück zu den Sea Trials: Natürlich gab es einige Probleme, aber das waren Kleinigkeiten angesichts der hervorragenden Segeleigenschaften und der umwerfenden Ästhetik von Kallisto VII.
Und das Resumé? Ich habe viel gelernt. Das größte Wunder war aber, dass das Schiff trotz der Pleiten der Werft fertig geworden ist und dass das Budget nur unwesentlich überschritten wurde. Ursprünglich hatte ich gedacht, zwei oder drei weitere Schiffe dieses Typs zu bauen und zu vermarkten, aber nach den Erfahrungen mit meinem Projekt und dem Zusammenbruch des Bootsmarkts nach dem Börsen Crash 2009 hat sich diese Idee als Illusion erwiesen. Nach drei herrlichen Segeljahren mit vielen Ausflügen zu den Stätten
antiker Kultur in der Türkei habe ich Kallisto VII verkauft und für die kleiner gewordene Familie eine kleinere Segelyacht, dieses Mal gebraucht und von der Stange, gekauft.